60.000€, ein guter Vertriebsprozess und was wir in der IT davon lernen können

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Vor kurzem war ich der Kunde in einem Verkaufsprozess und das war sehr spannend, weil ich neben der Kaufentscheidung vom Vertriebsprozess des Anbieters durchaus fasziniert war. Was war mein Anliegen für diesen Verkaufsprozess? Es ging um ein Budget von 60.000€ und um eine individuelle Lösung, die auf meine Situation hin abgestimmt werden musste.

Weiterhin gab es eine Aufgabenaufteilung zwischen Technikern und Vetrieblern des Anbieters mit einem Vorortbesuch. Das klingt doch ganz nach einem IT Projekt, oder? Wenn Ihr Euch jetzt vorstellt, dass es bei Euch eine derartige Verkaufschance über 60.000€ gibt, weiß dann jeder sofort was in welcher Reihenfolge zu tun ist? Es geht ja um viel Geld und es wird in der Lösung wohl etwas individuell werden.

Was ich in dieser Ausgangslage erlebte, war ein durchdefinierter und vor allem digitalisierter Vertriebsprozess. Ich kaufte zwar nicht, war aber von der Professionalität hoch beeindruckt und möchte Euch heute davon berichten und auch eine Ableitung auf unseren Vertriebsprozess als MSP oder IT Dienstleister machen. Was können wir aus dem realen Beispiel einer anderen Branche lernen?

Es geht um eine Solaranlage für unser Hausdach. Den Tipp zum Anbieter hatte ich von einem Freund bekommen. Empfehlungen kommen bei uns IT Anbietern ja auch schon einmal vor.

Mein erster Schritt war also, die Webseite des Anbieters zu besuchen. Neben vielen Fakten zu glücklichen Kunden stand schon auf der Seite ein Prozess in drei Schritten. Ich zitiere einmal.

  1. In einer Minute Sparpotenzial berechnen (man beachte die Formulierung)
  2. Unverbindlich beraten lassen
  3. Professionelle Installation ihrer neuen Solaranlage

Was meint Ihr zu den gewählten Aussagen? Klar und ansprechend?

Das Sparpotenzial wird natürlich digital auf der Seite mit Hilfe meiner Eingaben berechnet. Damit erhält der Anbieter Daten und ich vermutlich eine Ermunterung zu Schritt 2, dem Beratungsgespräch. Mit den allgemeinen Angaben und meinem konkreten Stromverbrauch kam erst einmal eine nennenswerte Ersparnis ins Spiel. Ich konnte mir also gleich online meinen kostenlosen Beratungstermin buchen. Den angekündigten Schritt 2.

Hierbei kam dann der Faktor Individualität noch einmal im Ablauf der Terminbuchung ins Spiel. Denn die Frage ist ja letztlich, wie viele Solarmodule auf mein Dach passen und das ist eine Einzelfallprüfung. Also hat mir die Seite nach Eingabe meiner Adresse einen recht stimmigen Google Maps Ausschnitt angezeigt und gefragt, ob das mein Dach sei. Allerdings war das das Dach unserer Nachbarn und ich hatte in der Grafik einen Marker zu positionieren, um unser Haus zu selektieren.

Nachdem der Termin eingebucht war, startete nun der weitere automatisierte Prozess. Ich erhielt diverse Mails, SMSe und Whatsapp Nachrichten. Im Videocall mit dem Vertriebler hatte der Gesprächsablauf einen sehr festen Rahmen, der durch die Präsentation vorgegeben war, aber an jedem Schritt mit Rückfragen ausgestattet war. Allerdings war mein Markerverschieben nicht erfolgreich und ich sah eine fertige Kalkulation für unseren Nachbarn. Und was passierte jetzt. Mitten im Gespräch kontaktierte der Vertriebler einen Planungstechniker, der dann in 10 Minuten eine neue Kalkulation erstellte und der Vertriebler hatte die Daten danach automatisch in seiner Präsentationsvorlage eingebunden. Wie ich sehen konnte, wurde das alles mit Office Bordmitteln umgesetzt. Irgendwie war das schon cool, diese Live-Anpassung zu sehen, so dass ich nach dem Termin per Mail doch eine Präsentation mit meinen Daten hatte.

Nach diesem Videocall – übrigens in Teams – mit dem Vertriebler hatte ich am Folgetag einen Anruf, der meine Zufriedenheit erfragt hat und ob ich weiter kaufbereit sei. Interessanterweise von einer dritten Person. Dessen Einstieg war, schön, dass sie gestern den Termin wahrgenommen haben. Gerne möchte ich Ihr Feedback mit einer Minute ihrer Zeit und drei Fragen aufnehmen. Passt das für Sie? Ich dachte, ok aus methodischem Interesse mache ich mal mit und bin gespannt, ob das wirklich eine Minute dauert oder das sehr optimistisch gedacht ist. Und tatsächlich war das Gespräch nach einer Minute rum und es wurde auch nicht versucht, weitere Fragen zu stellen. Die drei Fragen waren immer auf einer Skala von 1 bis 5 zu beantworten und die dritte Frage war: Wie bereit sind sie, in den nächsten 6 Wochen bei uns zu kaufen? Ich empfand das schon als recht drückend, aber nett gemacht und am Ende nicht störend, aber für den Anbieter sehr hilfreich. Denn von einer Sache wurde im ganzen Prozess kein Hehl gemacht. Man möchte mir etwas verkaufen und das wurde auch beim Namen genannt.

Der nächste Schritt war dann der Vororttermin mit einer Besichtigung auch der weiteren Rahmenbedingungen für den Speichereinbau und die genauen Dachmaße. Der Techniker hat hierbei ausschließlich mit einer App gearbeitet und im Termin alle Daten eingegeben. Er hat auch jedes Foto mit der App gemacht und der ganze Prozess wurde von den Schritten her durch die App gesteuert. In Summe hat der Vorgang 30 Minuten gedauert und das finale Angebot konnte somit vor dem finalen Video-Kaufgespräch erstellt werden. Wieder war ich durchaus beeindruckt von der Digitalisierung des Vorgangs.

Wie sich dann vor dem entscheidenden zweiten Videocall zeigt, wird sich bei unserem sehr individuellen Dach die Anlage nicht rechnen, da wir zu kleinteilige und verwinkelte Dachflächen haben.

Mein Fazit bleibt aber, hier habe ich einen sehr strukturierten Vertriebsprozess erlebt, bei einem Vorhaben, das ein Budget von 60.000€ beinhaltet und das individuell auf meine Situation hin angepasst wurde.

Und ein Hinweis noch, bevor wir auf uns in der IT schauen. Im Laufe des Prozesses habe ich:

13 Mails

5 SMS und

6 Whatsapps

erhalten.

Es wurde permament, fast jeden zweiten Tag mit mir kommuniziert. Jeder Termin wurde zwei Tage vorher angekündigt, dann nochmal kurz vorher und was ich vorzubereiten hatte, war immer glasklar.

Jede Nachricht, egal welcher Kanal war vorgetextet und kam in guter Sprache und vertrieblich geschickt formuliert rüber. Vermutlich alles von einer automatisierten Workflow-Engine. Alle Prozesschritte arbeiteten Hand in Hand auf die Fragen hin:

Haben Sie alles um zu entscheiden?

Bis wann werden Sie entscheiden?

Nehmen Sie unser Angebot an?

Soweit so gut.

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Machen wir einmal den Sprung in unsere Branche. Wir können sicher nicht alles davon adaptieren, aber es gedanklich bewerten können wir schon. Und auch kritisch zu uns sein, was unseren aktuellen Vertriebsprozess und dessen Standardisierung und Digitalisierung angeht

Mit Blick auf den Solarprozess lautet daher die Frage: Was können wir aus meiner gemachten Erfahrung übernehmen?

  1. Wir können nicht zu viel kommunizieren, sondern nur zu wenig
  2. Wir können viel mehr digital, vorgetextet und automatisiert kommunizieren und den Stand im Prozess klarmachen
  3. Ein definierter Ablauf schafft Vertrauen durch Professionalität und das ist die Basis für die Datenübergabe durch den Kunden, der weiß, warum wir diese Daten genau jetzt brauchen. Der Kunde wird also über den Gesamtprozess und den aktuellen Status aktiv informiert
  4. Wir können den Kunden im Verkaufsprozess nach seiner Zufriedenheit befragen und das smart und schnell
  5. Auch bei größeren Summen kann der Vertrieb online per Video erfolgen

Nach meinen vielen Jahren als Geschäftsführer und Vertriebsverantwortlicher in IT Unternehmen möchte ich Euch jetzt eine Idee eines Vertriebsprozesses für IT Lösungen geben, die ihr für Eure Umsetzung prüfen könnt.

Ich differenziere zwischen Lead Generierung und Vertriebsprozess, das noch der Vollständigkeit halber. Und der Teil der Lead Generierung kommt hier nicht vor und vorgeschaltet.

Der Vertriebsprozess hat bei mir 5 Phasen.

  1. Kontakt vorqualifizieren – das ist sozusagen Phase 0 und noch intern
    1. Die verfügbaren Informationen über das Unternehmen und die Ansprechpartner recherchieren
    2. Entscheiden, ob der Kontakt für das Lösungsspektrum die passende Zielgruppe ist
  2. Den individuellen Nutzen vor dem Gespräch aufbereiten
    1. Wenn wir schon Vertriebsmitarbeitende für diesen Prozess einsetzen, dann dürfen wir uns die Mühe geben und mehr machen, als das Kundenlogo in einem Foliensatz als Individualisierung zu ersetzen
    2. Passend zur Größe und dem Geschäftsmodell des Kontakts bereiten wir Nutzenszenarien und echte Kundenbeispiele auf, die dem Kontakt einen Wert liefern, damit er uns vertraut und bereit ist schrittweise durch den Prozess zu gehen
    3. Wir liefern zuerst einen Wert und verdienen uns die Zeit des Kontakts im Gespräch
  3. Die möglichen Wertschöpfungsthemen mit dem Kunden erarbeiten
    1. Und hier können immer wieder Schleifen mit dem Kunden gedreht werden, um seine Sicht und unser Expertentum zusammenzubringen, welche Themen in den nächsten 12 Monaten die wichtigsten mit dem wirksamsten Wert sein können
    2. Als Abschluss werden die Wertschöpfungsthemen (nicht die Lösungen, die kommen ja noch) priorisiert
    3. Hier gibt der Kunde seine Zustimmung, dass er an einer Vertiefung interessiert ist und mehr inklusive Angebot wissen will
  4. Die Fokuslösungen mit klarem Nutzen und Budget vorstellen
    1. Die Fokuslösungen werden intern konzeptioniert und kalkuliert
    2. Wenn das zu aufwändig ist, dann darf der Kunde das als Beratungsangebot vorab beauftragen
    3. Und dann werden die Inhalte in der Regel persönlich vorgestellt
    4. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Verkaufschance dann wieder in Phase 3 – Wertschöpfung zurückfällt – wenn der Kunde sich umentscheidet oder neu priorisiert. Der Prozess ist keine Einbahnstraße
  5. Auftrag verhandeln
    1. Alle Entscheidungsinformationen sind übergeben und der Kunde könnte jederzeit beauftragen
    2. Hier stehen wir ihm für Fragen zur Seite und haken bei ausbleibendem Feedback nach
    3. Der Abschluss dieser Phase kommt vom Kunden und ist ein Auftrag oder eine Absage. Keine Antwort über einen längeren Zeitraum ist übrigens auch eine Absage. Alles, was keine explizite Zusage ist, ist eine Absage. Vor allem – wir denken an das Solarbeispiel – wenn wir den Entscheidungszeitraum klar qualifiziert haben.

Ich hoffe, dass Euch diese Informationen inspirieren, auch an Eurem Vertriebsprozess zu arbeiten und Euch weiterzuentwickeln.

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