Eine Kollegiale Organisation ohne Führungskräfte ist keine Basisdemokratie

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Vielen Dank an Ralf Mackowiak und Tim Dombrowski von der Arineo GmbH, die sehr offen über viele unterschiedliche Erfahrungen auf ihrem Weg zu dieser besonderen Form der Zusammenarbeit – der Kollegialen Organisation – gesprochen haben.

Olaf: Kann man sagen, dass ihr vielleicht ein bisschen die Gunst dieses Starts als Neugründung genutzt habt, um Euch zu überlegen, wie wir uns organisieren wollen?

Tim: Wir sind sehr schnell gestartet mit wenigen Kollegen und Kolleginnen und hatten die Möglichkeit zu sagen, wir kennen unsere Branche, wir kennen unsere Technologien. Und was sind die Prinzipien, die wir brauchen, damit wir am Markt erfolgreich sind? Was ist unser Wettbewerbsvorteil? Und haben dann festgestellt, die Menschen, die Kollegen und Kolleginnen, die wir beim Kunden arbeiten, sind diejenigen, die das Wissen tragen, die die Beziehung zum Kunden aufbauen, die einfach dafür sorgen, dass unsere Kunden auch erfolgreich werden. Also haben wir den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Und haben dann von vornherein gesagt, wir brauchen eine Art und Weise des Zusammenarbeitens, wie wir gemeinsam erfolgreich sind und gleichzeitig den Menschen in den Mittelpunkt stellen können. Und damals sind wir 2019 gestartet.

Ralf: Wir haben sehr klar bei der Gründung kommuniziert, das Unternehmen soll in die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden kommen. Das ist auch bis heute so. Wir haben 50 Gesellschafter. Die arbeiten auch alle tatsächlich bei Araneo. Es ist aber angestrebt, dass wir zum Start des nächsten Jahres die Arineo vollständig in das Verantwortungseigentum aller Mitarbeitenden überleben. Das Zweite war eine einfache Aussage: Wir wollen keine Führungskräfte. Ich will sagen, wir haben auch hier die Gelegenheit genutzt, neue Wege zu gehen, uns nochmal neu zu hinterfragen. Und ich glaube auch, es ist nicht so leicht in einem klassischen bestehenden Unternehmen, diese beiden Sätze fallen zu lassen und dann auch Wirklichkeit werden zu lassen.

Olaf: Was sind so die Kernprinzipien Eurer Arrhenio-Variante der Kollegialen Organisation?

Ralf : Wir möchten, dass die Menschen, die bei uns arbeiten, auch bleiben wollen. Warum ist das so wichtig? Damit differenzieren wir uns am Markt, damit haben wir die Experten für unseren Beratungskontext und andere Unternehmen halt nicht. Auf der anderen Seite ist es so, wir müssen schnelle und gute Entscheidungen in unserem Alltag fällen, weil wir nun mal sehr stark Kundenorientiert arbeiten. Verfahren wie in klassischen Unternehmen, wo ich kleine Fragestellungen, wie darf ich dem Kunden 100 Euro gutschreiben erstmal bis zum Vorstand eskalieren muss, die helfen uns nicht. Wenn man das so sieht, haben wir das letztendlich manifestiert. Wir haben das in unseren normativen Zielen, in der Vision und in der Mission und auch in unserer Strategie formuliert.

Tim: Bei Gründung der Arineo war auch ein sehr starkes Augenmerk darauf, erfolgreich im Geschäft zu sein. Man ist Start-up, man möchte Kunden gewinnen, man möchte neue Aufträge machen. Und dann kommt der Punkt, wie organisieren wir uns. Und da gab es einen spannenden Effekt, man dachte, Selbstorganisation funktioniert. Wir haben dann gelernt, als wir die hunderter Marke der Mitarbeitenden überschritten haben, dass wir schon so Inseln hatten, die Selbstorganisation unterschiedlich verstanden haben. Also, was muss man dann tun? Einen gleichartigen Rahmen schaffen für alle, in dem wir uns bewegen, der abgestimmt ist, und dass wir dann zumindest mal zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Dann kam der nächste Wachstumssprung, wir waren so bei 180 und merkten, nee, jetzt geht’s gar nicht mehr. Und dementsprechend haben wir nochmal ein Reset gemacht. Wir haben ein klassisches Projekt aufgesetzt. Wir machen jetzt Organisation für Arineo.

 

Olaf: Es gibt Führungskräfte und es gibt Führung. Und es ist ein Unterschied zu sagen, wir haben keine Führungskräfte oder wir haben keine Führung. Nur weil es keine klassischen Führungskräfte gibt, könnte es eine andere Form der Führung in der Arineo geben. Wo findet sich Führung in der Kollegialen Organisation bei Euch?

Tim: Bei uns steht Führungsarbeit im Vordergrund. Selbst wenn wir noch so klar sagen, es gibt bei uns keine Führungskräfte, die Arbeit steht ja trotzdem oft an. Ich brauche trotzdem jemanden, mit dem ich über mein Entgelt sprechen kann. Es gibt einfach so Themen, die sind klassisch einer üblichen Führungskraft zugeordnet gewesen. Und wie wir denen begegnet sind, ist, dass wir Prinzipien haben. Zum Beispiel das Thema Stärken orientierter Aufgabenverteilung. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, was tut denn so eine ganz klassische Führungskraft? Einfach mal wirklich aufgelistet, was sind so die typischen Aufgaben, die diese Person hat. Da haben wir festgestellt, da gibt es Themen, die haben sehr viel mit Zahlen, Daten, Fakten, mit Controlling, mit Auslastungssteuerung zu tun. Wer geht denn eigentlich in welches Projekt? Wer entscheidet denn eigentlich, dass ich in dieses Projekt darf? Das ist so ein Themengebiet, da brauchen wir Menschen, die Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen. Das ist aber jetzt nicht so, dass diese Person ein kompliziertes Assessmentverfahren durchlaufen haben muss, damit sie diese Aufgabe übernimmt.

Ralf: Es ist sogar so, dass diese Rollen aus der Gruppe heraus besetzt werden. Eine Gruppe entscheidet, wer diese Aufgabe in Form der Rolle übernehmen darf oder soll. Das ist nicht wie in anderen Systemen, wo der Geschäftsführer sagt, du bist jetzt Bereichsleiter. Der Bereichsleiter sagt, du bist jetzt Abteilungsleiter. Umgedreht, die Gruppe sagt, wir müssen sicherstellen, dass diese Aufgaben erledigt werden. und jemand aus der Gruppe wird nominiert, das zu tun.

Olaf: Jetzt machen wir den Sprung zum Thema des Entscheidens. Was bedeutet das Konsent-Prinzip bei Euch?

Tim: Durch unseren Aufbau haben wir einen entscheidenden Vorteil. An jedem möglichen Fachthema sitzen wirklich Experten, die sich damit auskennen, so dass wir dort eine Fachentscheidung tätigen können. Und Entscheidungsfindung bedeutet auch, wenn ich in einem Kreis mit 15 Kollegen und Kolleginnen sitze, dass dann gerne auch über das letzte Detail diskutiert werden könnte. Und hier greift das Konsentprinzip ein. Konsent heißt, es geht nicht darum, dass jeder Ja sagt, sondern dass keiner einen validen Vetogrund hat.

Ralf: Viele denken, eine Kollegiale Organisation ist eine Basisdemokratie. Tatsächlich ist es das nicht. Auch eine Kollegiale Organisation hat eine Hierarchie, allerdings eine andere, sie hat eine Entscheidungshierarchie. Und wenn wir jetzt als Beispiel in einem Kreis sitzen würden, der sich einer Frage widmet und wir sind die Experten für diese Fragestellung. Und wir sagen, nein wir nehmen z.Bsp. keinen zweiten Hersteller an Bord. Da müssen die anderen Leute darauf vertrauen, dass wir eine gute Entscheidung gefunden haben. Auch wir müssen das, weil andere Kreise auch Entscheidungen treffen, wo wir nicht Experte sind und das trotzdem tragen und fördern möchten.

Olaf: Welche Werkzeuge und Tools sind bei euch wichtig, damit ihr die Kollegiale Organisation tagtäglich gelebt werden kann?

Ralf: Wir haben zum einen gesagt, wir versuchen alles transparent zu halten. Bis auf personenbezogene Daten ist nahezu alles transparent und offen. Dabei arbeiten wir sehr stark mit Microsoft Teams. Wir haben Teams für bestimmte Fragestellungen, zum Beispiel hat jeder Kreis sein eigenes Teams und die sind offen zugänglich. Das ist, glaube ich, ein deutlicher Unterschied gegenüber vielen Unternehmen. Ich kann mich noch an ausschweifende Rechte-Strukturen auf irgendwelchen File-Servern erinnern. Und ich habe mir gestern tatsächlich aus einem anderen Grund die Frage nach unseren IT-Tools stellen müssen. Wir haben da noch nicht so viel, muss man fairerweise sagen. Wir haben ein Organigramm, das ist handgezeichnet von Menschen, die gerne mit Grafikprogrammen arbeiten. Wir haben eine Dokumentation zur kollegialen Organisation in einem Sharepoint. Wir haben unsere Rollenzuordnungen in zwei unterschiedlichen Systemen, ein Personalverwaltungssystem und ein Rollen- und Karriere-System. Und jetzt merkt man, das ist sehr heterogen.

Tim: Wir haben auch für das interne Projekt, in dem wir die Kollegale Organisation entwickelt haben, ein Team angelegt, wo jeder Kollege, jede Kollegin hinzugefügt wurde. So konnte jeder zu jedem Zeitpunkt die ganzen Arbeitsdokumente einsehen. Jeder, der sich aktiv interessiert hat, hatte dadurch die Möglichkeit sich zu beteiligen. Es gibt auch ein paar Sachen, die sind verschlossener, klassische HR-Themen beispielsweise.

 

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